Vermischtes
Studie: Ausmaß des Missbrauchs in Kirchen größer als bisher bekannt
GDN -
Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in Einrichtungen der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ist offenbar deutlich größer, als bislang angenommen. Das zeigt eine Studie der Universität Ulm, die die wissenschaftliche Fachzeitschrift "Journal of Sexual Child Abuse" veröffentlichen wird, und über welche die "Welt" berichtet.
Demnach ist von etwa 114.000 Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester und noch einmal so vielen durch Pfarrer und Mitarbeiter in evangelischen Kirchen auszugehen. Wissenschaftler um den Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, Jörg Fegert, hatten im vergangenen Jahr eine Umfrage auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland hochgerechnet und kamen dabei auf bis zu 30-mal so hohe Zahlen, wie die sogenannte MGH-Studie, welche die deutschen Bischöfe in Auftrag gegeben und im vergangenen Herbst präsentiert hatten. Die Publikationszusage in dem Fachjournal bestätigt nun nochmal die Wissenschaftlichkeit der Untersuchung aus Ulm. Die MGH-Studie der Bischöfe hatte 3.677 Minderjährige ermittelt, die über einen untersuchten Zeitraum von bis zu 70 Jahren von katholischen Priestern missbraucht worden sein sollen. Allerdings hatte das unabhängige Wissenschaftskonsortium, welches die MGH-Studie durchgeführt hatte, stets deutlich gemacht, dass die Ergebnisse nur die "Spitze des Eisbergs" seien, da sie vor allem jene Fälle untersucht hatten, die in Kirchenakten registriert und entsprechend untersucht worden waren. Die Studie aus Ulm liefert nun erstmals einen Einblick in das Dunkelfeld, also auch der nicht angezeigten und registrierten Fälle. "Damit lässt sich nun das wahre Ausmaß des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den Kirchen besser einschätzen", sagte Studienleiter Fegert der "Welt". Er hoffe, dass die deutschen Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung sich "der tatsächlichen Dimension des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger nun endlich stellen". Zwar habe die katholische Kirche schon vieles getan. "Erforderlich sind jetzt einheitliche und transparente Verfahren und regelmäßige Informationen über die Ergebnisse, um wieder glaubwürdig zu werden", sagte Fegert, der auch Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg ist und die katholische Kirche seit mehr als 15 Jahren zum Thema Missbrauch Minderjähriger berät. Für die Untersuchung waren 2.516 Personen nach ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend befragt worden. 0,16 Prozent gaben dabei an, in einer Einrichtung der katholischen Kirche missbraucht worden zu sein, ebenso viele in einer Einrichtung der evangelischen. Lediglich beim Durchschnittsalter der Opfer unterschieden sich die Betroffenen. Auffällig ist zudem, dass sexueller Missbrauch durch katholische Priester vor allem bei den massiven Formen, also jenen mit Penetration, besonders hoch ist. Ihr Anteil liegt bei sechs Prozent all dieser Fälle. "Um einen noch tieferen Einblick zu gewinnen, wäre es sinnvoll, eine breit angelegte Befragung zum Dunkelfeld am besten zusammen mit der evangelischen Kirche in Auftrag zu geben", sagte Fegert weiter. Im Vergleich zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Bereich von Freizeitinstitutionen, liegt die geschätzte Zahl der Betroffenen in katholischen Einrichtungen demnach etwas höher als die durch Musiklehrkräfte (etwa 85.500) und etwas niedriger als im sportlichen Bereich (etwa 200.000). Am höchsten war die Zahl der Betroffenen im schulischen Kontext, wo sie bei etwa einer Million liegt.
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