Politik

Busshuttle für Nazis - alle anderen müssen laufen

15.000 demonstrieren in Kassel


Spitze des Demonstartionszuges (Quelle: heldmann.photos)
Kassel war bunt und vielfältig
(Quelle: heldmann.photos)
GDN - Am letzten Samstag veranstaltete die Nazi-Partei “Die Rechte“ in Kassel eine Demonstration, zu der rund 120 Rechtsextremisten kamen. 15.000 Menschen demonstrierten unter dem Slogan “no pasaran“ für Vielfalt und Menschlichkeit.
Offen für Vielfalt - ein Motto in Kassel
Quelle: heldmann.photos
Am Tag vor den Demonstrationen kündigte die Stadt Kassel an, am Veranstaltungstag den gesamten öffentlichen Nahverkehr in Kassel einzustellen, während die Veranstaltungen liefen. Dies führte in den Foren zu vielen verärgerten Reaktionen, weil die Polizei bereits vorher aufforderte, nicht mit dem eigenen PKW in die Stadt zu fahren. Gerade Bewohner aus dem direkten Umfeld, die nicht mit der Bahn anreisen konnten, fragten, ob die Stadt Kassel damit verhindern wolle, dass sie an den Veranstaltungen des “Bündnisses gegen Rechts“ teilnehmen. Dies dürfte in Richtung Verschwörungstheorien verwiesen werden, zumal Kassels OB Christian Geselle bereits am Freitag “allen Bürgerinnen und Bürgern, Gruppen und Initiativen, die am morgigen Samstag durch friedliche Aktionen und Proteste an unterschiedlichen Orten und Plätzen im Stadtgebiet zeigen wollen, dass Kassel eine bunte, demokratische und weltoffene Stadt ist“, für ihr Engagement dankte.
Demonstranten statt Busse
Quelle: heldmann.photos
Die Pressesprecherin der Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) erläuterte auf Anfrage von GDN, der “den Strom für die Straßenbahnen und RegioTrams (sei) in einem weiten Radius rings um die Innenstadt auf Anweisung der Polizei abgestellt“ worden. Und anderem hätte damit ein “unverhältnismäßig hohes Sicherheitsrisiko (etwa bei einem Einsatz von Wasserwerfern in Kombination mit einer 600 Volt- Fahrleitung!)“ vermieden werden sollen. Außerdem hätten die Demonstrationsrouten “direkt oder indirekt unsere neuralgischen Verkehrsknotenpunkte: Scheidemannplatz, Mauerstraße (v.a. für Busse), Stern, Altmarkt, Fünffensterstraße, Ständeplatz, Friedrich-Ebert-Straße, Hauptbahnhof“ betroffen. Andere Verkehrsknotenpunkte wie Auestadion oder Bahnhof Wilhelmshöhe seien ebenfalls von den polizeilichen Maßnahmen betroffen gewesen - an diesem Tag fand der größte Polizeieinsatz statt, den Kassel seit Menschengedenken erlebt hat. Auch ein Busersatzverkehr sei wegen der kurzen Vorbereitungszeit nicht realisierbar gewesen.
Kritik am Busshuttle
Quelle: Screenshot Twitter
Trotzdem führte es zu erheblicher Verärgerung bei vielen der Demonstranten, als sie beobachteten, dass ausgerechnet die KVG eine Gruppe von rund 30 Rechtsextremisten, die nicht zum Kundgebungsort, sondern zum Kasseler Hauptbahnhof angereist waren, mit einem Linienbusshuttle in die Unterneustadt fuhren. Dies führte zu viel Kritik, wie z.B. der Tweet von B.A.N.D. zeigt.
KVG-Bus für Rechtsextremisten
Quelle: heldmann.photos
Die KVG verwies in ihrer Antwort an GDN darauf, dass “die Fahrt von rechtsextremen Demonstranten in einem Bus der KVG nicht die KVG veranlasst (hat), sondern die Stadt Kassel gemeinsam mit der Polizei.“ Die Stadt Kassel begründete das mit Sicherheitsaspekten. “Am Samstagmittag sei am Hauptbahnhof eine etwa 40-köpfige Gruppe mit dem Zug eingetroffen, die zur Demonstration der Partei Die Rechte wollte. Wäre diese Gruppe geschlossen durch die Innenstadt gezogen, hätte das den Auflagen der Stadt Kassel widersprochen. Der Anmelder der rechten Demonstration, wollte den Aufzug indes nicht ohne die Teilnahme dieser Gruppe beginnen.“ Gerade der zuletzt genannte Aspekt hat allerdings die Frage aufgeworfen, welches Interesse die Stadt daran haben kann, bei einer von ihr am liebsten verbotenen Demonstration den Wunsch des Anmelders auf diese Weise zu unterstützen. Vermuten kann man zumindest, dass es bei niemanden, weder der Stadt Kassel, der Polizei noch der Kasseler Bevölkerung, ein Interesse gab, dass die 30 zum Hauptbahnhof angereisten Rechtsextremisten als geschlossene Gruppe quer durch die Innenstadt marschiert wären. "Im Zweifel geht die Sicherheit stets vor, so dass der Einsatz des Busses angemessen war", erklärte die Stadt Kassel gegenüber GDN. Diese Strategie ist letztlich aufgegangen, denn bis auf kleinere Zwischenfälle war es eine riesige bunte und friedliche Demonstration der Bevölkerung. Eine Gruppe von 30 Rechtsextremisten, die von der Polizei durch die Stadt begleitet worden wäre, wäre eine Provokation gewesen.
Vehling-Bus und Polizeikräfte
Quelle: heldmann.photos
Der größere Teil der Rechtsextremisten kam allerdings direkt mit dem Bus nach Kassel gereist. Ein gelber Doppelstockbus des Busunternehmens Vehling aus Bergkamen und Werne sorgte für die Anreise der vor allem in Dortmund und dem Ruhrgebiet aktiven Anhänger der Nazi-Partei “Die Rechten“. Der mit einem “Borussia Dortmund-Fanschal“ an der Frontscheibe geschmückte Bus war bereits auf der A 44 zwischen Dortmund und Kassel von starken Polizeikräften begleitet und die Insassen kontrolliert worden. Der Fahrer des Busses machte trotzdem bei der Ankunft in Kassel einen Eindruck, als sei das eine völlig normale Fahrt gewesen, nicht anders, als eine Kaffeefahrt einer Rentnergruppe. Wegen des enormen Medieninteresses - es waren nicht nur Fotografen und TV-Teams aus Deutschland, sondern auch anderen EU-Ländern, Russland und den USA anwesend - war die Anti-Werbung dieser Fahrt wohl auch für Vehling Reisen schnell ersichtlich. Noch am Sonntag erklärte daher “Die Geschäftsführung der Vehling Reisen GmbH“: “Am Samstag den 20.07.2019 hat die Vehling Reisen GmbH eine Reisegruppe von Dortmund nach Kassel mit einem Doppelstockbus transportiert. Die Anmeldung der Reisegruppe ging auf dem üblichen Wege ein und erfolgte zu den gängigen Konditionen. Wir sind ein multikulturelles Unternehmen, beschäftigen mehr als 10 Nationalitäten, die, friedlich, gut und freundschaftlich zusammenarbeiten. Wir distanzieren uns grundsätzlich von jeder Art von Rassismus und extremen politischen Positionen. Wir werden zukünftig verstärkt mögliche politische Motivationen unserer Fahrgäste prüfen. Da wir nicht bestrebt sind, aus politischen Ereignissen Profit zu schlagen, werden wir den gesamten Erlös der Fahrt einem wohltätigen Zweck spenden.“
Vehling-Bus mit BVB-Fanschal
Quelle: heldmann.photos
Diese Stellungnahme lässt allerdings noch einige Fragen offen. GDN hat daher bei der Geschäftsführung am Montag nachgefragt: 1. Ihr Unternehmen hat seinen Sitz in der Nähe der Stadt Dortmund. Dort hat “Die Rechte“ ihre Hochburg. War Ihnen die Partei vor Samstag bekannt? 2. Viele der Fahrtteilnehmer/innen waren mit szenetypischen Merkmalen ausgestattet, insbesondere trugen zahlreiche aus der Gruppe Shirts mit der Aufschrift “Die Rechte“ und solche, die ihre Solidarität mit der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck erklärten. Einer der Fahrgäste war ein Niederländer, der in Frisur, Bart und sonstiger Aufmachung seinem politischen Vorbild Adolf Hitler frappierend ähnelt. Er wird in den Medien als “niederländischer Hitler“ bezeichnet. Ist Ihnen bzw. Ihrem/Ihren Fahrer(n) beim Zustieg der Fahrgäste dies nicht aufgefallen? Warum wurde zu diesem Zeitpunkt nicht nach dem Zweck der Fahrt gefragt? 3. Die für Samstag in Kassel angekündigte Demonstration war in den vergangenen Tagen von allen großen TV-Sendern und Tageszeitungen wiederholt thematisiert worden, auch, dass Anmelder die Partei “Die Rechte“ in Person von Christian Worch war. Wieso wurde in Ihrem Haus bei der Buchung einer Fahrt ausgerechnet an diesem Tag von Dortmund nach Kassel nicht genauer nachgefragt, wer gebucht hat, wer die Mitreisenden sind und welchem Zweck die Fahrt dient? 4. Der Bus wurde von starken Polizeikräften begleitet und bereits auf der A44 intensiv kontrolliert. Hat Ihr Fahrer sich zu diesem Zeitpunkt mit Ihnen in Verbindung gesetzt, um das weitere Vorgehen zu klären? Falls Ja, warum wurde die Fahrt fortgesetzt, als spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, um welche Fahrgäste es sich handelt? 5. Vorliegende Fotos vermitteln den Eindruck, dass es zwischen Ihrem Fahrer und dem “Reiseleiter“ der Rechtsextremisten ein freundliches, entspanntes Verhältnis (um nicht zu sagen: ein Einvernehmen) gab. Haben Sie einen Fahrer eingesetzt, der eine Sympathie zu den Zielen seiner Fahrgäste zeigt? 6. Der Bus trug an der Frontscheibe einen deutlich sichtbaren Fanschal des BVB Borussia Dortmund. Halten Sie es für angemessen, den Fußballclub, der sich in der Vergangenheit wiederholt und nachdrücklich von Rechtsextremismus und Rassismus distanziert hat, auf diese Weise in Verbindung mit Menschen zu bringen, die den Nationalsozialismus verherrlichen? 7. An welcher Organisation beabsichtigen Sie den Erlös der Fahrt zu spenden? Ist es eine, die sich zum Beispiel um Opfer rechtextremer Gewalttaten kümmert?
Bequem zur Demo: Rechtsextremisten in Kassel
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Auf diese Fragen haben wir keine befriedigenden Antworten erhalten. Geschäftsführer Wilfried Vehling äußert sich in der Sache nur zu den beiden letzten Fragen: “Es ist gängige Praxis unter Berufskraftfahrern Ihren Fahrerarbeitsplatz mit persönlichen Gegenständen zu schmücken. Die Spende erfolgte nach Rücksprache an die Jugendhilfe Werne.“ Zu den Fragen unter 1. bis 5. haben wir keine Antwort bekommen. Herr Vehling bezieht sich lediglich auf die allgemeine Stellungnahme von Sonntag und ergänzt: “Wie bereits in unserer öffentlichen Stellungnahme beschrieben, distanzieren wir uns als Unternehmen und alle unsere Mitarbeiter von Rassismus und extremen politischen Positionen jeglicher Art. Unterstützung der rechten Szene hat es in der Vergangenheit nicht und wird es auch in der Zukunft niemals geben. Die Lücke in unserem Bestell- und Auftragssystem, die zum Vorfall führten, haben wir aufgedeckt mit Arbeitsanweisungen und Mitarbeiterunterweisungen belegt, um Vorfälle dieser Art für die Zukunft auszuschließen. Alle involvierten Mitarbeiter sind sensibilisiert, dass der Prozess für die Zukunft absolut sicher ist.“ Die Bewertung dieser (Nicht-)Antworten überlassen wir unseren Leserinnen und Lesern. Die von uns um eine Stellungnahme gebetene Pressestelle des Fußball-Bundesligisten BVB Borussia Dortmund hat nicht geantwortet.
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